INTERDISZIPLINÄRE ZUSAMMENARBEIT
«Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist Erfolgsgarant bei Gefässpatienten.»
Die hochspezialisierte Herz- und Gefässmedizin im KSA arbeitet mit modernsten Geräten und interdisziplinär, um Fälle besser erkennen und behandeln zu können. Diese Dienstleistung steht an 365 Tagen während 24 Stunden zur Verfügung. Was das heisst und wie wichtig diese Zusammenarbeit für die Patientinnen und Patienten ist, erklären Prof. Christoph Thalhammer, Chefarzt Angiologie, und Dr. med. Andrej Isaak, Chefarzt Gefässchirurgie, im Interview.
Alessia traut ihren Augen kaum: Drei weitere Male prüft sie ihr Los, bevor sie glaubt, was sie bei der Ziehung der Lottozahlen sieht. Sie hat den Jackpot von 100 Millionen Franken geknackt. Mit einem lauten Freudenschrei springt sie vom Sofa. Doch plötzlich legt sich ein beengendes Gefühl über ihre Brust, sie schnappt nach Atem.
Nach dem Notruf rücken die Einsatzkräfte des KSA in Windeseile aus. Ihnen bleiben wenige Minuten Zeit. Erst weitere interdisziplinäre Abklärungen im KSA werden zeigen, dass es sich nicht um einen Herzinfarkt, sondern um ein Stressherz (Tako-Tsubo-Kardiomyopathie) handelt, bei dem die Gefässe offen sind (MINOCA-Fall, siehe Infografik auf der nächsten Seite). Die interdisziplinäre Zusammenarbeit am KSA kann eine falsche Behandlung einer Krankheit wie in diesem fiktiven Beispiel verhindern und die Risiken massgeblich reduzieren, wie Prof. Christoph Thalhammer und Dr. med. Andrej Isaak im Interview erklären.
Was versteht man in der Medizin unter interdisziplinärer Zusammenarbeit?
Isaak: Für mich bedeutet es das optimale Zusammenbringen der Stärken der einzelnen Disziplinen in Bezug auf Diagnostik und Behandlung. Dafür braucht es gemeinsame Ziele und eine offene Kommunikationskultur. Die Rahmenbedingungen sind Flexibilität sowie ein professionelles, respektvolles Auseinandersetzen mit der Materie für das Wohl der Patientinnen und Patienten. Komplexe Fälle können nur so erfolgreich behandelt werden. Es sind Team-Player gefragt.
Ist man sich immer einig?
Thalhammer: Wir waren uns gerade erst letzte Woche bei einem älteren Patienten nicht einig, ob es sinnvoll ist, ihn einer komplexen Operation zu unterziehen. Er hatte bereits mit seinem zufriedenen Leben abgeschlossen. Da muss das offene Gespräch mit allen Parteien zeitnah möglich sein. Es geht aber nicht um unser persönliches Befinden, sondern um Professionalität und um das, was für die Patientinnen und Patienten am besten ist und auch was sie sich wünschen.
Hat diese Zusammenarbeit Parallelen zu einer Beziehung?
I: Wir haben ja fast zeitgleich angefangen, hier zu arbeiten. Da war von Anfang an eine gute Chemie vorhanden. Aber eher wie eine Freundschaft, oder? (Guckt zu Thalhammer.)
T: Ja, natürlich. Mit allen Eigenschaften, die man auch im allgemeinen Leben haben sollte, wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Respekt. Das ist ja bei allen zwischenmenschlichen Beziehungen so. Die Patienten spüren auch, dass wir gut und gerne zusammenarbeiten.
I: Die Patientinnen und Patienten stellen fest: Da kümmert sich ein Team um einen und nicht nur eine Person. Und was ich persönlich extrem schätze, ist die immense Erfahrung von Christoph, von der ich auch jeden Tag profitieren darf.
T: Ach, jetzt hör aber auf!
I: Doch, es ist extrem wichtig bei der interdisziplinären Zusammenarbeit, dass man von der Stärke des anderen mitgerissen wird. (Beide lachen.)
Inwiefern profitieren Patientinnen und Patienten von dieser Zusammenarbeit?
T: Die Patienten profitieren davon, dass sie rundum betreut werden. Ich kann in einem nicht spezialisierten Spital einen hervorragenden Kathetereingriff erhalten. Wenn das gut geht, ist gut. Wenn jedoch etwas schiefgeht, dann wird die Patientin oder der Patient zu uns verlegt. Das KSA ist natürlich als Zentrumsspital mit sämtlichen Mitteln der Diagnostik und der Behandlung ausgerüstet, die den Patienten Tag und Nacht während 365 Tagen im Jahr zur Verfügung stehen.
Wie funktioniert das im KSA konkret?
I: Gefässpatienten sind ja grundsätzlich betrachtet anspruchsvoll – kardiologisch und gefässmedizinisch. Jeder Fall braucht eine sorgfältige Abklärung und Diagnose der Krankheit als Basis. Interdisziplinäre Behandlungen erlauben es uns, ein Standardprozedere jederzeit anzupassen. Wir beurteilen die Patientinnen und Patienten immer wieder aufs Neue während der Genesung und adaptieren die Behandlung entsprechend, um diese zu beschleunigen.
T: Wir betreuen sie ja kontinuierlich. Als Beispiel: Ein Patient wird von Andrej operiert und dann von mir per Ultraschall kontrolliert. Wenn eine weitere Behandlung den Zustand noch verbessern könnte, dann holen wir uns die nötigen Fachärztinnen und Fachärzte an Bord. Jeden Morgen um 7.40 Uhr treffen wir Angiologen, Gefässchirurgen und Radiologen uns und besprechen alle Notfälle und Eingriffe des Vortags. Dadurch wissen alle über sämtliche aktiven Patientinnen und Patienten Bescheid. Wir haben auch verschiedene Boards, wo wir uns wöchentlich mit anderen Disziplinen treffen und komplexe Fälle besprechen.
Reduzieren sich dadurch auch Risiken für Patientinnen und Patienten?
I: Es gibt gute Studien, die zeigen, dass die Resultate deutlich besser sind, wenn Kardiologen, Internistinnen, Angiologen, Chirurginnen, Nephrologen und Endokrinologinnen kooperieren. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist ein Erfolgsgarant und reduziert unerwünschte Ereignisse um ein Vielfaches.
Gefässeingriffe werden im KSA nur durchgeführt, wenn es wirklich notwendig ist. Weshalb und was sind alternative Vorgehensweisen?
T: Dank dem besten Wissen in sämtlichen Disziplinen und den technischen Möglichkeiten ist die Diagnose noch präziser geworden. Was vor 10 Jahren mit einem Kathetereingriff noch undenkbar war, kann man heute ohne Operation und ohne Narkose behandeln.
I: Im heutigen Gesundheitssystem werden für einzelne Behandlungen falsche Anreize gesetzt. Viele konservative Therapie- und Behandlungsmethoden werden nicht angemessen vergütet, obwohl sie dem Patienten oder der Patientin das grössere Wohl bieten. Gehtraining ist dafür ein gutes Beispiel.
Können Sie ein typisches Beispiel geben?
T: Die häufigste Krankheit, die wir behandeln, ist die Schaufensterkrankheit. Wenn jemand im Alltag noch 200 Meter ohne Pause laufen kann, dann reicht das für viele nicht so aktive Menschen. Mit einem Gehtraining ist im Mittel eine Verdoppelung der Strecke möglich. Dann ist nicht unbedingt ein Eingriff wie ein Ballonkatheter nötig. Wenn wir zunehmend getrieben sind, Geld zu verdienen, dann werden möglicherweise invasive Behandlungen bevorzugt. Zum Glück sind wir am KSA nicht so unter Druck wie in anders geführten Spitälern.
Ein Blick in die Zukunft: Was sollte Ihrer Ansicht nach weiter ausgebaut werden und weshalb?
I: Mir fallen auf Anhieb zwei Dinge ein: Erstens muss man sich jeden Tag dafür einsetzen, dass im Team ein wertschätzender Umgang gepflegt wird – nur so ist interdisziplinäre Zusammenarbeit möglich. Zweitens ist es mir wichtig, dass wir – wenn immer möglich – auf Behandlungen mit den besten Langzeitresultaten setzen. Das ist in meinen Augen Behandlungsqualität zum Wohl der Patientinnen und Patienten.
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